Munku Sardyk - Frühlingsbesteigerung
von Lukas Bieler
Vom 22. - 26. April 2004 war ich mit russischen und amerikanischen Freunden im Okinskij Rayon der Republik Burjatien unterwegs und bestieg dabei den höchsten Gipfel Ostsibiriens - Munku-Sardyk. Nebst der wunderschönen Schnee- und Felslandschaft wird mir davon vor allem die russische Art des Bergsteigens in Erinnerung bleiben.
Die Mannschaft
Unsere Gruppe bestand aus einem erfahrenen russischen Berggänger, zwei jungen Russen aus Ulan-Ude, drei Studentinnen und einem Familienvater aus Irkutsk, zwei amerikanischen Missionaren und mir.
Vorbereitung
Der Gipfel des Munku-Sardyks liegt auf der russisch-mongolischen Grenze und so befindet man sich auf der Tour immer auf "Grenznaher Zone". Ein entsprechender Grenzposten befindet sich an der Stelle, wo man die Strasse verlässt. Für ausländische Staatsangehörige ist es offiziell offenbar schwierig, eine Zugangsberechtigung für die "Grenznahe Zone" zu erhalten. Unser Gruppenleiter fand eine irgendwie sehr komplizierte und halbwegs legale Lösung für das Problem.
Im Frühjahr ist die Besteigung bedeutend schwieriger als im Sommer, wobei die Schneeverhältnisse jedes Jahr variieren. An den Maifeiertagen reist jeweils eine ganze Masse Berggänger in die Region, dann entsteht auch ein Weg, welcher den Aufstieg erleichtert (aber vielleicht nicht verschönert).
Vor den Maifeiertagen hat man ohne alpine Standardausrüstung meist schweren Stand. Wir entschieden, Steigeisen, Eispickel und die Seilgarnitur mitzunehmen.
Anfahrt
Am Donnerstagmorgen verliessen wir Irkutsk mit zwei Personenwagen, in Kultuk trafen wir unsere Freunde aus Ulan-Ude, und dann fuhren wir rassig durch die wunderschöne Tunka. Mondy ist die letzte Ortschaft, dorthin verkehrt auch ein Bus. Wir fuhren noch weiter bis zum Grenzposten, wo wir auch unsere Autos parkierten und so unsere Wandertour begannen.
Basislager
Das Basislager wird üblicherweise in der "Strel'ka", der Mündung der Flüsse "Belij Irkut" und "Muguwjek" auf 1827m aufgebaut. Der etwas über dem Bachbett gelegene Ort, etwa zwei Stunden vom Grenzposten entfernt, ist leider auch entsprechend verschmutzt.
Da es im April in Sibirien üblicherweise noch recht kühl ist, hatten wir uns mit einigermassen warmen Schlafsäcken ausgerüstet und schliefen dicht gedrängt in den Zelten. Das Essen bereiteten wir in Metallkesseln über dem Feuer. Axt und Säge sind dazu notwendig. Ein gutes Feuer ist bedeutend besser geeignet als etwa ein Gas- oder Benzinkocher. Wer mit letzteren bei kühlen Temperaturen unterwegs ist, sollte sich eine Konstruktion überlegen, welche den Kocher vom Wind und der kalten Luft abschirmt - sonst kriegt man das Wasser nie warm.
Akklimatisation
Den Freitag verwendeten wir, um uns an die etwas dünnere Luft und unsere Beine an die Arbeit zu gewöhnen. Gleichzeitig erlebten wir eine fantastische und scheinbar unberührte Landschaft. Eine Akklimatisation ist für den berggewohnten Europäer kaum notwendig, aber es lohnt sich, für den Munku-Sardyk und seine Umgebung etwas Zeit zu nehmen.
Training von Alpinismus-Grundlagen
Am Samstag trainierten wir das Gehen mit Steigeisen, die Selbstsicherung mit dem Eispickel und verschiedene Seiltechniken. Die meisten von uns hatten diese Instrumente zuvor noch nie verwendet. An das Gehen mit Steigeisen gewöhnte ich mich recht schnell und an vereisten Hängen ist es sehr angenehm. Die Selbstsicherung, welche für den Fall eines Sturzes im Steilhang das Einschlagen des Eispickels und erst beim Stillstand die Unterstützung der Steigeisen vorsieht, funktionierte bei uns ehrlich gesagt nicht ganz, aber wir wussten immerhin, was wir im Notfall ausprobieren würden.
Aufstieg - Woschoschdenje
Und so kam schon der grosse Tag. Am Sonntagmorgen machten wir uns auf. Vom Basislager aus müssen noch drei Abschnitte bewältigt werden. Der erste Teil führt entlang des Baches Muguwjek etwa drei Stunden sanft in die Höhe. Wir gingen direkt auf dem noch meist vereisten Muguwjek, an einigen Stellen kostete uns dies aber nasse Füsse und ab Mai ist wohl der Weg neben dem Bach zu bevorzugen.
Der zweite Teil führt über 500 Höhenmeter durch einen steinigen Hang auf eine Ebene, auf der ein kleiner See liegt. Für mich war dies der mühsamste Teil, die Kombination von Steinen und weichem Schnee war recht unberechenbar.
Jetzt bleiben noch 900 Höhenmeter bei einer durchschnittlichen Steigung von 45%. Der Gipfel ist sichtbar, es gilt nun einfach den Hang hinaufzusteigen. Zuerst bedeutete dies für uns Stapfen durch den Tiefschnee, dann sanken wir immer weniger ein und das steile Schlussstück war vereist. Unglücklicherweise hatte ein Gruppenmitglied schon früh einen Steigeisendefekt und dies wurde jetzt echt schwierig. Die beiden Freunde aus Ulan-Ude gingen fortan als enge Seilschaft: Pawel, mit Steigeisen, machte zwei Schritte, verankerte Eispickel und Steigeisen im Eis und liess Tschingis nachsteigen. An den heikelsten Stellen ging ich hinter ihnen und versuchte jeweils die Schuhe von Tschingis mit meinem Eispickel zu stützen. Hartes Eis lag vielleicht auf den letzten 100 Höhenmetern, doch dieses Klettern war so ermüdend, dass wir erst etwa eine Stunde nach unseren Kameraden auf dem Gipfel ankamen. Es war inzwischen bereits sechs Uhr geworden, der Aufstieg hatte uns 10 Stunden gekostet und bis zur Dämmerung verblieben noch 2 Stunden.
Ich war sehr überrascht über diese Zeitplanung. Unser Gruppenführer hatte offenbar nicht damit gerechnet, dass wir wesentlich weniger Zeit benötigen würden, und doch starteten wir erst um 8 Uhr und liessen die Taschenlampen bis auf zufällige Ausnahmen im Basislager.
Abstieg
Beim Abstieg wurde uns erst richtig bewusst, wie steil dieser Hang ist und einigen von uns wurde jetzt etwas unwohl. Wir entschieden den Eishang mit Hilfe eines oben im Eis fixierten Seiles zu bewältigen. Dann kamen wir recht rassig vorwärts durch den weichen Schnee bis zum See. Es wurde jetzt aber dunkel. Wo wir am Morgen noch vorsichtig geklettert waren, sprangen wir jetzt - mit einem Drang, irgendwie bald im Lager zu sein - über Stein und Schnee. Zwei Stunden marschierten wir in finsterer Nacht über die inzwischen an vielen Stellen nachgebende Eisdecke des Baches. Erfreulicherweise hielten wir als Gruppe trotz Müdigkeit gut zusammen und die Stimmung blieb gut.
Um ein Uhr erreichten wir unser Basislager. Jetzt verdrängten wir die Müdigkeit und Erschöpfung nicht mehr, tranken noch heissen Tee, assen das Nötigste und legten uns schlafen.
Am nächsten Morgen hatten wir grosse Mühe, unsere Siebensachen zu packen, das schwere Gepäck hinunterzutragen und unsere Chauffeure auch, uns sicher heimzufahren. Wir waren alle an unsere Grenzen gegangen und der Reiz des Gipfels hatte unsere Erschöpfung nur heraus schieben können.
Internet-Tipps für Russisch-Kundige:
weitere Erfahrungsberichte findet Ihr in der:
Rubrik zum Ostsajan
Basisdaten zum Berg; einige Fotos; interaktive Karte ohne Höhenlinien; Wegbeschreibung;
Einige schöne Fotos findet ihr zudem auf www.extrotur.narod.ru
oder www.angara.net